Panorama

15.03.2017

Geflüchtete Menschen und ihre Sorgen


von Petra Bordfeld

Zwei Frauen und 18 Männer schließen sich viermal in der Woche zu einer internationalen Gemeinde zusammen, die ein gemeinsames Ziel hat: Deutsch zu lernen, und damit einen Grundstein für ihr von Frieden geprägtes Leben in Deutschland zu schaffen. Die 19 bis 51jährigen Teilnehmenden eines Integrationskurses der VHS sind aus ihren Heimatländern - Syrien, Irak, Eritrea und dem Sudan - vor Krieg und/oder der schlechten humanitären Lage geflohen.

Von öffentlicher Hand sowie von engagierten Privatpersonen haben sie in den letzten Wochen und Monaten unendlich viel Unterstützung erhalten und sind hierfür äußerst dankbar. Sie sind in Sicherheit und konnten im geschützten Rahmen anfangen, ihre Fluchterfahrungen zu verarbeiten und nach vorne zu schauen.
 
„Die deutsche Sprache zu sprechen ist Voraussetzung für die Integration der geflüchteten Menschen. Dafür legen Sprachkurse den Grundstein, aber der Kontakt zu Deutschen im Alltag ist immens wichtig, um das Neuerlernte anwenden und vertiefen zu können“, so VHS-Geschäftsstellenleiterin Karen Richter.

Und genau hier sieht sie ein Problem: die Teilnehmenden der VHS-Deutschkurse berichten, dass ihnen zunehmend mit Vorbehalten begegnet wird. Sie selbst wurde schon des Öfteren gefragt, ob sie vor der Vielzahl der Flüchtlinge bei der VHS keine Angst habe. „Ich antworte immer, dass ich dies nicht nachvollziehen kann – das Miteinander der Sprachlernenden sowie des VHS-Teams inklusive Lehrkräften ist offen und äußerst zugewandt. Meines Erachtens lernen wir alle voneinander.“

Um „ihre“ Teilnehmenden zu unterstützen, hat Karen Richter die Journalistin Petra Bordfeld in einen der aktuell bei der VHS laufenden Integrationskurse eingeladen, um im Gespräch die Sorgen der Flüchtlinge aus „erster Hand“ zu hören:

Ein Teilnehmer machte den Anfang: In Osterode und Bad Sachsa habe er bereits zweimal erlebt, dass bei der Nachfrage, ob er die freistehende Wohnung beziehen dürfe, die Tür zugemacht wurde. Mit einem fast höflichen „Tut mir leid“ und ohne Erklärung war die Wohnung nicht mehr zu haben, wenn ersichtlich wurde, dass ein Flüchtling sie anmieten möchte.

Ein junger Mann  aus Syrien betonte, dass nicht nur sie noch viel lernen müssten. Das Gleiche gelte auch für die Deutschen. Es könne doch nicht angehen, dass oftmals angenommen wird, in Syrien gebe es keine Zivilisation. Schwarzdenker sollten sich einfach mal informieren. Sein Heimatland liegt bestimmt nicht in Nordafrika, sondern es grenzt im Norden an die Türkei. Außerdem vergeht nicht ein Tag, an dem nicht über Syrien und den schlimmen Krieg, der dort herrscht, informiert wird.

Weiter war die Sorge zu vernehmen, dass es Deutsche gibt, die meinen, dass man dumm sei, wenn man ihre Sprache nicht versteht. „Dann müssten Deutsche doch auch dumm sein, wenn sie ins Ausland fahren und die Landesprache nicht verstehen“.

Eine Teilnehmerin mahnte an, dass es aber unendlich wichtig sei, die Sprache zu erlernen, wenn man Arbeit haben möchte. Es sei aber auch nicht schlecht, mit einem Grundwissen in der deutschen Sprache arbeiten gehen zu dürfen. Am Arbeitsplatz dürfte es einfacher sein, die Sprache zu verbessern. Denn in der VHS lernt man die Theorie. „Wenn du am Arbeitsplatz fragen kannst, wie was heißt, das bleibt eher hängen“. Man dürfe nicht vergessen, dass sie keine Kinder sind. „Die lernen die Sprache viel schneller wie wir“. Dass gemeinsame Problem sei die Deutsche Sprache: „Wir brauchen mehr Zeit“.

„Auf der einen Seite braucht ihr Ingenieure, Ärzte und Techniker. Unter den Flüchtlingen sind solche Fachleute, aber keiner will ihnen eine Chance geben. Mein Freund ist Dr. und Ing. Er wartet bereits seit zwei Jahren darauf, arbeiten zu dürfen“.
 
Auch wenn sich jemand  kritisch mit der Politik seines oder eines anderen Landes auseinandersetzt, darf das doch nicht zur Folge haben, dass Abneigung zu den dort oder hier lebenden Menschen entsteht. „Wir sind doch auch ganz normale Menschen. Jeder sollte neugierig sein und keine Angst vor dem Kennenlernen anderer Gewohnheiten haben“.

Große Sorgen bereitet den Teilnehmenden aber auch die Tatsache, dass in dem Augenblick, wenn ein Flüchtling etwas Ungesetzliches angestellt hat, erschreckender Weise oftmals der große Kamm herausgeholt wird, über den dann alle Flüchtlinge „gezogen“ werden. „Wir haben nichts gemacht, und nicht alle Flüchtlinge sind schlecht, gleich aus welchem Land sie kommen“. Ein junger Mann versicherte, es habe schon des Öfteren seine Jacke aufgerissen, um zu zeigen, dass er wirklich keinen Dynamitgürtel umgeschnallt oder eine Schusswaffe versteckt hat. „Leider denken viele, dass Moslems Bombenträger sind“. Diesen Vorurteilen würde mehr Aufklärung zum muslimischen Glauben entgegenwirken können.

„Wir versuchen mit Deutschen  in Kontakt zu treten, aber oft wirkt es so, als hätten viele keine Lust dazu oder Angst davor“. Es sei traurig, wenn einem eine Frage nicht beantwortet wird, oder ein nicht verstandener Begriff nicht erklärt wird. „Außerdem sprechen die Deutschen oft für uns zu schnell“. Beide Seiten sollten sich sagen, dass alle zusammen gehören und etwas mehr Geduld haben. „Damit würde sich die Welt schon ein klein wenig ändern. Denn, wenn andere das sehen, machen sie es vielleicht nach“.

„Es wäre schön, wenn die Deutschen uns helfen und uns nicht den Rücken zukehren würden. Davor haben wir Angst“, so eine der zwei Kurteilnehmerinnen. Sie ist schon mal auf dem Bahnhof in Göttingen auf Abneigung gestoßen. Dort fragte sie andere Bahnreisende, wo der richtige Bahnsteig zu finden ist. Obwohl sie diese Fragen auf Deutsch stellte, wollte niemand verstehen. Sie drehten sich um und gingen fort. „Die Deutschen müssen auch Geduld haben und manchmal auch mehr Toleranz“. Es dürfe nicht angehen, dass Flüchtlinge einfach stehen gelassen oder belächelt werden, wenn sie Fragen haben.

Ein junger Mann, der ohne Familie geflohen ist, fühlt sich alleine gelassen. Die einzige Brücke, die er zu seinem alten Zuhause hat, ist das Handy. Ohne diese Technik wäre er noch viel einsamer.

Ein weiter Schüler legte ein ganz anderes Problem offen dar. Er habe in Friedland seine Aufenthaltsgenehmigung nicht in seiner Sprache erhalten, sondern nur auf Deutsch. Erst viel später habe er so erfahren, dass er keine drei, sondern nur ein Jahr bleiben darf. Da die Einspruchsfrist abgelaufen ist, wisse er nicht weiter. Denn seine schwer kranke Mutter harre noch in der Türkei aus. Sie werde aber für dieses eine Jahr nicht die Strapazen auf sich nehmen, um kurze Zeit in Deutschland leben zu dürfen. „Was kann ich nur machen?“

Ein anderer Teilnehmer wartet seit 18 Monaten auf die Bearbeitung seines Falls in Friedland – ein konkretes Jobangebot, dass ihm vorliegt, kann er aus diesem Grund nicht annehmen.

Neben der Herausforderung, Deutsch zu lernen und sich in einem neuen Land mit einer fremden Kultur zurechtzufinden, sind viele der Teilnehmenden mit den Gedanken bei den zurückgelassenen Menschen. Im Prinzip hat jeder der 20 Teilnehmenden Heimweh, denn keiner von ihnen kann eben mal ins Auto oder die Bahn oder das Flugzeug steigen, und schnell seinem Zuhause einen Besuch abstatten. Überhaupt werde leider viel zu oft vergessen, dass keiner von ihnen ein Tourist ist.

Sie sind geflohen, um ihr Leben zu retten. Einige versicherten auch, dass sie nicht mit dem festen Ziel Deutschland alles zurückgelassen hätten, sie sind nach Europa aufgebrochen und wollten dort bleiben, wo es den Menschen gut geht, gleich welche Nationalität sie hätten.

Die Sprachkursteilnehmenden bei der VHS würden sich freuen, wenn dieser Artikel dazu beiträgt, dass mehr Menschen in ihrem Umfeld mit ihnen in Dialog treten. Interessierte Frauen und Männer, die sich vorstellen können, als Sprechpaten zur Verfügung zu stehen, können sich gerne bei Karen Richter bei der VHS melden (Telefon: 05522/960-4450).


Einige der Teilnehmende des Integrationskurses mit Dozentin Jenny Bauer und VHS-Geschäftsstellenleiterin Karen Richter


 

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