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21.09.2023

Fachleute fordern: Pflanzen nicht vermenschlichen


Prof. Dr. Andrea Polle und Prof. Dr. Christian Ammer

Forschungsteam prüft populäre Bücher zum Wald und kritisiert fehlende wissenschaftliche Evidenz

(pug) Populärwissenschaftliche Bücher sind im Trend. Sie sollen interessierten Laien wissenschaftliche Themen verständlich und unterhaltsam vermitteln. Damit das gelingt, beschreiben Autorinnen und Autoren die Inhalte vereinfacht und mit einem Wortschatz, der dem ihres Publikums näher ist. Wenn es um Pflanzen geht, kommen zur Beschreibung ihrer Eigenschaften seit einiger Zeit vermehrt menschliche Attribute zum Einsatz.

So sollen zum Beispiel Bäume in der Lage sein, Gefühle zu haben und für ihre Nachkommen zu sorgen wie Mütter für ihre Kinder. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universitäten Göttingen, Heidelberg und Umeå (Schweden) hat derartige Beschreibungen nun anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse geprüft. Die 32 Forschenden aus elf Ländern analysierten Aussagen aus zwei breit rezipierten Büchern zum Thema Wald. Sie kommen zu dem Schluss, dass oftmals Mutmaßungen mit Fakten gleichgesetzt werden, und warnen davor, Pflanzen wie Menschen darzustellen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Trends in Plant Science erschienen.

Im Fokus der Forschenden standen die Bücher „Das geheime Leben der Bäume“ von Peter Wohlleben und „Finding the Mother Tree“ von Suzanne Simard. Darin werden Bäumen menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben – etwa die Fähigkeiten, Schmerz und Glück zu empfinden, miteinander zu kommunizieren oder altruistisch zu handeln. „Für beide Bücher konnten wir anhand der Fachliteratur detailliert nachweisen, dass zentrale Aussagen wissenschaftlich nicht haltbar sind“, erklärt Prof. Dr. Christian Ammer von der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Universität Göttingen.

„So wird beispielsweise die Behauptung, dass Bäume einer Art versuchen, den Verlust von Artgenossen durch gegenseitige Hilfe zu vermeiden, durch zahlreiche Forschungsarbeiten zur Bedeutung innerartlicher Konkurrenz klar widerlegt.“ Auch das „Mutterbaum“-Konzept, also der vermeintlich gezielte Transfer von Kohlenstoff von älteren zu jüngeren Bäumen über vernetzende Pilze, ist aus Sicht der Forschenden unsachlich. Dazu Prof. Dr. Andrea Polle von derselben Fakultät: „Das ist mit Blick auf neue Untersuchungen unzutreffend. Viele dem Konzept zugrundeliegende Publikationen werden falsch wiedergegeben. Dort, wo die Daten diesen Transfer tatsächlich nahelegen, ist die ausgetauschte Kohlenstoffmenge in fast allen Fällen so gering, dass sie für den empfangenden Baum physiologisch völlig irrelevant ist.“

Die Forschenden kritisieren auch, dass in beiden Büchern Quellen als Belege verwendet werden, die kein qualitätssicherndes Begutachtungsverfahren durchlaufen haben. Sie fordern, dass Verlage klar zwischen Sachbüchern und Romanen unterscheiden müssen. Und sie weisen auf Folgen hin: „Für die Anpassung der Wälder an den Klimawandel wäre es fatal, wenn politische Weichenstellungen dafür nicht auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern auf der Grundlage wohlklingender, aber falscher Botschaften getroffen werden“, so Ammer.

An dem Projekt beteiligten sich Forschende der Biologie, Ökologie, Mikrobiologie und Forstwissenschaften aus Chile, Deutschland, Großbritannien, Irland, Israel, Kanada, Österreich, Schweden, der Schweiz, Spanien und den USA.

Originalveröffentlichung: D. G. Robinson, C. Ammer, A. Polle et al. Mother trees, altruistic fungi, and the perils of plant personification. Trends in Plant Science (2023). DOI: 10.1016/j.tplants.2023.08.010

 

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