Kultur / Rezensionen

12.07.2024

Das schlimmste Monster lauert in uns


„Das Dunkle zwischen uns“ von Jasmin Mrugowski, Nadine Opitz und Sarah Jahed

von Christian Dolle

Welche Triggerwarnung sollte diesem Buch voranstehen? Die Frage ist eher: Welche nicht? „Das Dunkle zwischen uns“ von Jasmin Mrugowski, Nadine Opitz und Sarah Jahed ist eine Horror-Anthologie mit 17 Geschichten, die unter die Haut gehen.

Es ist psychologischer Horror, es geht, wie der Titel schon andeutet, um Zwischenmenschliches und um Abgründe der menschlichen Seele. Die sind ja häufig viel tiefer und düsterer als jede Gruselgeschichte über Monster es sein kann, denn das Monster Mensch ist nach wie vor eines der schlimmsten. 

Der Shadowcrawler

Zum Beispiel ist da die kleine Lisa, die mit einem gebrochenen Arm im Krankenhaus liegen muss. Ihr ist langweilig, so dass sie nachts in das Zimmer von Micha schleicht, der zwar nicht spricht, aber dafür zeichnet. Comics vom Shadowcrawler, der Menschen, die in Not sind, vor ihren Peinigern beschützt. Lisa klaut Michas Zeichnungen, nein, leiht sie sich aus, denn auch sie wünscht sich manchmal den Shadowcrawler, der sie beschützt. 

Vor dieser Geschichte ist eine Triggerwarnung auf jeden Fall angebracht. Vielleicht auch vor jener eines Mannes, der allein in einem Sarg erwacht – allein mit dem Monster in seinem Kopf. Oder der Geschichte eines französischen Soldaten, der sich auf Dämonen einlässt, um den Nazis zu entkommen. 

Dämonen, die sich in uns manifestieren

Ja, alles, was die drei Autorinnen erzählen, ist in der Realität verankert oder vielmehr in jenen Bereichen der Realität, die so dunkel sind, dass Dinge passieren, die eigentlich nur noch durch Monster und Dämonen zu erklären sind. Dämonen, die sich in uns manifestieren. 

So auch im Falle der alten Dame, die früher während des Bosnienkrieges unerträgliches Leid erfuhr und jetzt einen serbischen Kriegsverbrecher – der zu alt und gebrechlich ist, um für seine Taten verurteilt zu werden – in ihrem Keller gefangen hält. Ihr Motiv durchaus verständlich, ist sie dennoch einem Rachewahn verfallen, der wiederum andere ins Dunkel stürzt.

Diese psychologische Tiefe eint die Geschichten, dazu eine eindringliche, elegante und dadurch literarische Erzählweise, die das Grauen aber nicht mindert. Es sind plausible menschliche Abgründe, die diese Anthologie so viel grausamer machen als jeden Splatterroman, und es ist die Vielzahl an Schicksalen und Figuren, die dazu zwingen, sich Zeit für dieses Buch zu nehmen. 

Natürlich sind nicht alle Geschichten gleichermaßen intensiv, das ist bei einer Kurzgeschichtensammlung ja selbstverständlich. Dennoch gibt es keine Füller, keine Ausreißer nach unten und der Stil der drei Autorinnen passt auf jeden Fall so gut zusammen, dass sich ein absolut stimmiges Gesamtwerk ergibt. 

Rising Writers Club

Jasmin, Nadine und Sarah lernten sich über Social Media kennen, tauschten sich aus, sandten Kurzgeschichten bei Wettbewerben ein, treffen sich inzwischen regelmäßig, um zu schreiben. Bei einem verlängerten Wochenende an der Ostsee entstand die Idee zu dieser Anthologie. Daraufhin gründeten sie den Rising Writers Club als Selbstverlag, so dass „Das Dunkle zwischen uns“ das Licht der literarischen Welt erblicken konnte. 

„Eine zweite und eine dritte Anthologie sind geplant, die zweite schon in Arbeit“, verriet mir Nadine. „Das Genre und das Thema werden etwa gleich bleiben. Jedoch das Konzept etwas anders. Des Weiteren schreibt jede von uns an ihrem Debüt. Jasmin an einer Dystopie, Sarah an einem Mystery-Roman und ich an einem Horror-Roman.“ Wir dürfen also gespant sein, was der Rising Writers Club noch von sich hören lässt. 

Zur Rezension gibt es auch ein Video mit ein paar Zusatzinformationen:

 

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