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14.01.2017

Das Sanatorium - Kapitel 2


Heute folgt der zweite Teil der Fortsetzungsgeschichte "Das Sanatorium". Die Freundinnen Acy und Sarah sind auf einem Campingplatz im Harz angekommen und treffen dort auf weitere Gäste, zwischen denen es gleich schon mal richtig Spannungen gibt:

Kapitel 2 - Am Anfang war das Feuer

von Christian Dolle

Als Acy ihre Reisetasche auf der kleinen Kommode neben dem einfachen Bett verstaute, hörte sie von draußen Geräusche. Es mussten die Leute aus der Nachbarhütte sein und sie beschloss, nachzusehen, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie heute Abend überhaupt Gesellschaft haben wollte. Der Platz und die einfache Hütte gefielen ihr ehrlich gesagt ziemlich gut und sie freute sich schon darauf, mit Sarah mal wieder ganz in Ruhe über alles mögliche quatschen zu können, vielleicht sogar über die Dinge, die ihr schwer auf der Seele lasteten und die sie nicht alleine bewältigen konnte.

„Hey, komm mal raus“, rief Sarah plötzlich und Acy folgte ihrer Stimme. „Das sind Meena, ihr Freund Gideon und Kim“, sagte sie und deutete auf drei junge Leute, die gerade einige trockene Äste auf die Feuerstelle vor den Hütten stapelten. Meena war eine echte Schönheit, unverkennbar mit indischen oder ähnlichen Wurzeln. Sie lächelte Acy fast scheu, zumindest aber zurückhaltend an und war ihr auf Anhieb sympathisch. Gideon war etwas kräftiger gebaut, vollkommen in Schwarz gekleidet und stand offenbar der Gothicszene nicht ganz fern. Auch er begrüßte sie mit einem offenen Lächeln und  ließ ihre Sehnsucht nach Einsamkeit ein wenig verblassen. Ebenso Kim, der im Gegensatz zu Gideon ziemlich schlank war und durch seine längeren Haare, und ein großes Peacezeichen als Kettenanhänger ein wenig hippiemäßig wirkte.

„Hey, helft ihr mit, noch ein bisschen trockenes Holz zu sammeln“, fragte Kim, „wenn ihr wollt laden wir euch dafür auf Stockbrot und Tomatensalat ein. Die beiden aus dem Zelt kommen nachher auch noch dazu.“ Sarah nickte sofort, machte sich auf die Suche und Acy folgte ihr in den Wald. Weit kamen sie hier nicht, denn zur einen Seite des Campingplatzes erhoben sich steile Hänge, an der anderen lag der Stausee. Im Grunde gab es nur den Weg, den sie gekommen waren und die Straße zum gesperrten Damm. Einige Zweige und trockene Äste fanden sie zum Glück trotzdem.

„Weißt du, wer das ist?“, fragte Sarah plötzlich mit deutlicher Aufregung in der Stimme. „Die drei? Na, ich denke mal unsere Nachbarn für heute Abend.“ Sarah schüttelte energisch den Kopf. „Das meine ich nicht. Gideon ist Youtuber, hat einen Kanal, auf dem er Horror-Let's Plays macht und Gruselgeschichten erzählt.“ Youtube war ohnehin nicht so richtig Acys Welt und den Kanal von diesem Gideon kannte sie natürlich auch nicht. Allerdings war damit wohl klar, worum sich die Gespräche am Lagerfeuer dann heute Abend drehen würden.

Nach einer Weile waren sie zurück und die Jungs versuchten, ein Feuer zu entfachen. Sie taten sich etwas schwer damit, doch Acy wusste, bei so einer archaischen Aufgabe durften sie dem starken Geschlecht auch im 21. Jahrhundert nicht reinreden. Plötzlich stand Meena neben ihr. „Ist es euch überhaupt recht, dass wir euch gleich so vereinnahmen?“, fragte sie. „Schon okay. Wir waren auf 'nem Festival und wollten auf der Rücktour einfach noch einen Tag dranhängen und mal alles, was so nervt, vollkommen ausblenden.“ Meena sah sie aus ihren großen braunen Augen an und schien fragen zu wollen, was genau denn so nervt. Doch sie schwieg und Acy war ihr dankbar dafür.

„Boah, das haut vorne und hinten nicht hin“, hörte sie Kim plötzlich fluchen, „Habt ihr nicht auch mal 'ne Idee, wie wir das blöde Feuer ankriegen können? Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert und da ist das nicht mehr nur Männersache.“ Acy musste lachen, dann aber suchte sie in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel und im Auto wiederum nach ein paar alten Zeitungen, die noch im Kofferraum lagen. „Hiermit müsste es gehen“, sagte sie und reichte den Jungs das Papier.

Die Flamme des Feuerzeugs fraß sich sofort hinein und bald hoben sich flackernde Flammen leuchtend vor dem Abendrot des Himmels ab. Meena holte Schüsseln mit Essen aus ihrer Hütte, Gideon ein paar Flaschen Bier, die er im Wasser gekühlt hatte und Sarah steuerte alles bei, was sie sich zum Essen eingepackt hatten. Dann raste plötzlich ein Auto auf den Platz vor der Anmeldung und erwischte wohl eines der vielen Schlaglöcher. Jedenfalls gab es einen lauten Knall und Acy und die anderen bekamen mit, wie ein blonder junger Mann ausstieg, fluchte und von seiner dunkelhäutigen Beifahrerin mit wilder Lockenmähne nur mühsam besänftigt wurde.

>„Das sind die beiden aus dem Zelt“, erklärte Meena, „Nico und Jacky. Sie wollten eben noch mal in die Stadt oder an eine Tankstelle fahren, um noch mehr Bier zu kaufen.“

Na, das war jetzt immerhin gut durchgeschüttelt, dachte sich Acy, schluckte die Bemerkung aber hinunter. Schon kamen die beiden nämlich in Richtung Feuer und Nico schimpfte unablässig über die beschissenen Straßen, den heruntergekommenen Campingplatz und diese verfluchte Einöde. Jacky ertrug es mit einem Augenrollen.

„Hey, das sind Sarah und Acy und das sind Jacky und Nico“, stellte Gideon sie einander vor, ohne auf den Vorfall auf dem Parkplatz einzugehen. „Ich glaube, die Achse ist gebrochen“, motzte Nico unbeirrt weiter, „alles wegen diesem verkackten Schlagloch. Ist doch echt zum Kotzen.“ Jetzt riss offensichtlich Jacky der Geduldsfaden und sie keifte zurück: „Was musst du auch so rasen, du hast doch gesehen, wie die Straße aussieht. Und überhaupt war es schließlich deine Idee, dass wir uns hier im Nirgendwo treffen, damit deine Freundin nichts mitbekommt!“ Niemand von den anderen wagte es, die Situation zu kommentieren, schließlich drohte hier gerade die ganze Stimmung deutlich zu kippen.

Letztlich war es Kim, der sich als erster einschaltete und meinte: „Jetzt komm schon, heute kannst du eh nichts mehr dran ändern und morgen rufen wir in der nächsten Werkstatt an.“ „Ach halt doch die Klappe, wegen dir sind wir ja überhaupt erst losgefahren, weil ihr nur vegetarischen Fraß und nicht mal ein paar Bratwürste habt“, blaffte Nico ihn an. „Jetzt komm mal ganz schnell wieder runter. Wenn ihr ohne 'was Essbares Campen fahrt und du wie ein Idiot über eine Buckelpiste im Wald rast, ist das ganz sicher nicht unsere Schuld!“

Fast unmerklich rutschte Sarah immer näher zu Acy und auch Meena drückte sich an die Seite von Gideon. Ihnen allen war die aufgeheizte Stimmung unangenehm und sie fürchteten um den Abend, der böse enden konnte, bevor es überhaupt gemütlich wurde. Als wäre eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen, blickte Acy in diesem Moment zu Gideon und er zu ihr, dann fragte sie: „Du hast uns noch immer nicht erzählt, warum ihr eigentlich hier seid.“ „Wollte ich gerade tun“, gab er zurück, „wir haben nämlich eigentlich viel mehr vor als nur am Lagerfeuer zu sitzen. Allerdings weiß ich nicht, ob ich euch das überhaupt verraten sollte.“

Das Ablenkungsmanöver verfehlte seine Wirkung nicht, denn auf einmal sahen alle gespannt und vielleicht auch ein wenig skeptisch zu Gideon hinüber. „Es hat mit dem alten Sanatorium zu tun, dem Haus Helene. Das hat nämlich ein düsteres Geheimnis und dem wollen wir auf die Spur kommen“, verriet er mit dem Versuch eines diabolischen Lächelns, das aber vor allem sympathisch wirkte. „Aber jetzt setzt euch erstmal alle, wir essen und dann erzähle ich euch vielleicht auch, was ich vorhabe. Vielleicht. Und nur, wenn jetzt keiner mehr 'rumzickt.“


 

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