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05.01.2017

Der kinderärztliche Bereitschaftsdienst steht auf der Kippe


Interessante neue Erkenntnisse brachte das Gespräch mit den Kinderärzten Christian Webel, Martin Webel und dem Geschäftsführer der KVN-Geschäftsstelle Göttingen nicht nur Bürgermeister Klaus Becker (vl).

Verantwortliche und Betroffene informierten sich im Osteroder Rathaus
Bürgermeister: „Es hilft nur politischer Einfluss.“

Stadt Osteroode am Harz

Osterodes Bürgermeister Klaus Becker (parteilos) und betroffene Eltern wollen ihre Bemühungen verstärken, den kinderärztlichen Bereitschaftsdienst im Altkreis Osterode am Harz zu erhalten. Das ist das Ergebnis eines Gesprächs zu den geplanten Veränderungen beim kinderärztlichen Bereitschaftsdienst vorgestern im Osteroder Rathaus.

Becker hatte dazu Harald Jeschonnek, Geschäftsführer der Göttinger Geschäftsstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), Elternvertreterinnen aus Osteroder Kindergärten und Grundschulen sowie die Kinderärzte Martin Webel und Christian Webel eingeladen. Dabei gab es überraschende Erkenntnisse.

Becker wies darauf hin, dass sich die Verwaltung schon im November, als geplante Veränderungen bekannt wurden, des Themas angenommen hat. Er habe Kontakt mit der KVN und den für den Wahlkreis zuständigen Bundestagsabgeordneten Dr. Priesmeier und Dr. Kühne sowie dem Landtagsabgeordneten Karl-Heinz Hausmann aufgenommen. Becker hat auch mit dem Sozialdezernenten des Landkreises Göttingen, Marcel Riethig, gesprochen. Dieser habe ihm die Unterstützung des Landkreises bei den Bemühungen zugesagt, die wohnortnahe ärztliche Versorgung zu gewährleisten. Ziel muss lt. Becker sein, auch außerhalb der ärztlichen Sprechzeiten eine angemessene Versorgung erkrankter Kinder vorzunehmen. Eine 45minütige Fahrt ins 40 Kilometer entfernte Göttingen mit einem fiebrigen oder vor Schmerzen schreienden Kind stelle eine schwierige Ausnahmesituation für die Eltern dar.

Harald Jeschonnek erläuterte den Hintergrund der zum 1. Januar kommenden Jahres geplanten Änderung. Er hob zunächst hervor, dass es keinerlei Zusammenhang mit der Fusion der Landkreise Göttingen und Osterode gebe. Handlungsbedarf gebe es schon seit Jahren. Die KVN sei von

politischen Entscheidungen wie der Fusion unabhängig, insoweit sei die zeitliche Nähe zwischen Fusion und der geplanten Verlagerung des Bereitschaftsdienstes nach Göttingen eher zufällig. Die
KVN habe den gesetzlichen Auftrag, die kassenärztliche Versorgung einschl. des Bereitschaftsdienstes auf Dauer sicherzustellen. Dies werde bei der geringer werdenden Zahl niedergelassener Kinderärzte im ländlichen Bereich zunehmend schwieriger, nicht nur in Südniedersachsen. „Ärzte sind ein knappes Gut“, so Jeschonnek: „Es müssen erst mal Ärzte gefunden werden, die sich im ländlichen Bereich niederlassen wollen.“ Einer der Gründe für die Zurückhaltung sei der Bereitschaftsdienst, der es erschwere, Familie und Beruf in Einklang zu bringen. Die Vertreterversammlung der KVN habe daher festgelegt, dass kein Arzt mehr als vier Bereitschaftsdienste im Quartal übernehmen solle. Weiteres Kriterium sei das Vorhandensein einer Kinderklinik, um dort eine evtl. erforderliche stationäre Betreuung vornehmen zu können.

Kinderarzt Martin Webel bestätigte, dass die Bemühungen um den Bereitschaftsdienst schon länger währen und hatte eine überraschende Information: „Wir haben etwa eineinhalb Jahre daran gearbeitet, die geplante Lösung hinzubekommen – sie ist derzeit die einzige Möglichkeit, überhaupt einen kinderärztlichen Bereitschaftsdienst aufrecht zu erhalten.“ Es seien schlicht zu wenige niedergelassene Ärzte vorhanden. Harald Jeschonnek bestätigte, dass die Alternative der komplette Wegfall dieses Dienstes sei – ein Szenario, das die Elternvertreterinnen und den Verwaltungschef verblüffte und das sie sich nicht vorstellen mögen. Auch die Kinderärzte, so Martin Webel, wünschten sich eine Lösung, die die Attraktivität der Stadt und des Altkreises für junge Familien und Urlauber mit Kindern erhält.

Aus Elternsicht stellen sich neben der verständlichen Sorge um die Versorgung auch rein praktische Probleme. So setze die Fahrt nach Göttingen zunächst mal Mobilität voraus. Müsse ein Krankenwagen in Anspruch genommen werden, binde dies Kapazität, die dann vor Ort fehle. Und wenn mehrere Kinder vorhanden seien, müsse zudem die Versorgung der anderen sichergestellt werden, was auch schwierig werden könne: „Es geht hier locker um mehrere Stunden“, gab Juliane Bödeker vom Stadtelternrat der Kindergärten zu bedenken.

Eltern und Bürgermeister setzen darauf, eine Änderung der Entscheidung der Vertreterversammlung zu bewirken. „Es ist für mich eine weitere neue Erkenntnis, dass die Kinderärzte für die neue Lösung gekämpft haben“, stellt Becker fest und wies darauf hin, dass „wir aufpassen müssen, die jetzt gefundene Lösung nicht noch nachträglich einzureißen und dann überhaupt keine kinderärztliche Bereitschaft mehr zu haben.“ Er will mit den Eltern jedoch weiter auf eine wohnortnahe Versorgung hinwirken. Die Einwirkungsmöglichkeiten auf die unabhängige KVN seien zwar gering, politische Unterstützung könne aber helfen. In einem nächsten Schritt will er Kontakt mit dem Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung aufnehmen.

Hintergrund
Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sind rechtlich selbstständige und unabhängige Körperschaften des öffentlichen Rechts. Sie haben nach dem Sozialgesetzbuch, Teil V, den Auftrag, in ihren jeweiligen Bereichen die kassenärztliche Versorgung der gesetzlich Versicherten zu gewährleisten. Die Vertreterversammlung ist oberstes Selbstverwaltungsorgan der KV.


Die Kinderärzte Christian Webel und Martin Webel sowie KVN-Geschäftsstellenleiter Harald Jeschonnek (vl) erläuterten dem Bürgermeister, Fachdienstleiter Wieland Mücke und Elternvertreterinnen die Hintergründe der Neuregelung des kinderärztlichen Bereitsch

 

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